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1719-2019

Grafik: KrauseDas Logo des Kirchenjubiläums 2018/2019 zeigt die stilisierten Umrisse der beiden Burgholzhäuser Kirchen und die Zahl 300.

Ein kleiner Ort und zwei neue Kirchen binnen eines Jahres. Das ist ungewöhnlich genug. Holzhausen wird dabei zum Spiegel der Weltgeschichte.

Der Start war aus heutiger Sicht alles andere als gelungen. Trotz der für die Zeit geradezu sensationellen Umstände. Das kleine Dorf Holzhausen am Rand der Wetterau erhielt binnen sechs Monaten gleich zwei neue Kirchen. Die knapp 300 Einwohner jedoch waren zerstritten. Aufgespalten in eine evangelisch-lutherische Mehrheit und eine römisch-katholische Minderheit standen sie sich unversöhnlich gegenüber.

Was war passiert?

Seit fast 180 Jahren war Holzhausen ein Spielball der Mächtigen. Seit der damalige Ortsherr Graf Ludwig von Stolberg-Königstein Holzhausen zum lutherischen Glauben geführt hatte und damit die Reformation im Ort durchsetzte, war nichts mehr wie zuvor. Bis dahin waren die Holzhäuser – der Ort wurde 1222 erstmals urkundlich erwähnt – selbstverständlich katholische Christen. Allerdings war der Flecken zu klein, um als eigenständige Pfarrei geführt zu werden. An Stelle der heutigen evangelischen Kirche gab es eine kleine Kapelle. Holzhausen war eine Filiale, die zu Seulberg gehörte.

Dann kam Martin Luther. Mit seinen 95 Thesen an der Schlosskirche zu Wittenberg löste er eine Revolution aus, die die Holzhäuser mit einiger Verzögerung erreichte. Denn der junge Ludwig von Stolberg, der König-stein später seinem Namen hinzufügte, war ein Student Luthers in Wittenberg. Als Ortsherr verordnete er Holzhausen die lutherische Konfession. Die Bewohner wurden nicht gefragt.

Im Augsburger Religionsfrieden von 1555 erhielt er nachträglich Recht. „Cuius regio, eius religio“ (wessen Gebiet, dessen Religion) hieß das Prinzip, nach dem die Herren ihren Untertanen die Religionszugehörigkeit aufzwingen konnten. Was als Versuch der Fürsten gemeint war, ihre konkurrierenden Machansprüche in geordnete Bahnen zu lenken, führte zumindest in Holzhausen in den folgenden eineinhalb Jahrhunderten zu einer Menge Ärger.

Der Gegenreformator

Eine zentrale Figur in der Geschichte des Dorfes ist Freiherr Franz Adolph von Ingelheim, ein Neffe des Mainzer Bischofs und gläubiger Katholik. Er wurde 1688 Ortsherr in Holzhausen. Bis dahin hatte das Dorf mehrere Herrschaftswechsel erlebt – zwischen-zeitlich war es auch calvinistisch – doch keiner der wechselnden Ortsherren hatte versucht, die Reformation komplett rückgängig zu machen. Ingelheim war aus anderem Holz geschnitzt.

Freiherr Franz Adolph von Ingelheim war ein Popstar seiner Zeit, eine schillernde Persönlichkeit. Geboren 1659 in Aschaffenburg brachte er es bis zum Präsidenten des Reichskammergerichts, obwohl dieses Amt ursprünglich nur Fürsten und Grafen vorbehalten war. Zwischenzeitlich nach Auseinandersetzungen mit einem Amtskollegen suspendiert, kehrte er nach Jahren ans Reichskammergericht zurück und wurde schließlich auch zum Grafen ernannt.

Ingelheim nutzte den Status Holzhausens als kaiserliches Reichslehen. Damit unterstand das Dorf dem Kaiser und hätte nach katholischer Ansicht niemals evangelisch werden dürfen.

Der neue Ortsherr brachte katholische Mitarbeiter ins Dorf, ersetzte evangelische Gerichtsschöffen durch katholische und verwies den lutherischen Lehrer seiner Wohnung. Schließlich führte er für die zugezogenen Katholiken wieder eine katholische Messfeier ein – zunächst im Rathaus, das damit vorübergehend zur Kirche wurde. Am 24. März 1715 wurde dort der erste katholische Gottesdienst in Holzhausen nach der Reformation gehalten.

Ingelheims Stunde schlug aber 1712, als die evangelische Kirche erneuert werden sollte, weil das alte Gebäude baufällig war. Wie es ausgesehen hat, ist nicht überliefert. Als Teile der Kirche einstürzten, wollte Ingelheim eine neue Kirche für Holzhausen bauen, die von beiden Konfessionen genutzt werden könne. Doch das mehrheitlich evangelische Gericht lehnte ab. Sie werteten seine jahrelangen Versuche der Rekatholisierung als Verstoß gegen die Bestimmungen des Westfälischen Friedens.

Die Eskalation

Der Ortsherr gab nicht auf. Am 18. April 1716 legte er den Grundstein für eine katholische Kirche an der Straße nach Ober-Erlenbach. Das war zu viel für die evangelische Bevölkerungsmehrheit und für die Landgrafen von Hessen-Homburg und Hessen-Darmstadt. Mehr oder weniger diplomatisch verfasste Briefe gingen hin und her, ihre Annahme  verweigert, Gerichte bemüht, Forderungen gestellt. Es half nichts. Ingelheim baute weiter, die Landgrafen verlangten, dass er aufhört. Keine Seite wollte ihr Gesicht verlieren.

Der Überfall

Am 23. Juni 1716 rückten gegen 3 Uhr nachts auf Befehl der Landgrafen von Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt drei Kompanien aus Gießen und Darmstadt mit 300 Soldaten unter Obristleutnant Cleemann im Dorf ein. Sie besetzten sofort beide Tore und alle übrigen Eingänge des Dorfes, Amts-haus, Rathaus, lutherische Kirche und die Wohnung des katholischen Schultheißen. In den Aufzeichnungen des Landgrafen heißt es:

„Der größte Teil der Mannschaft dagegen, welcher mit Schaufeln, Pickeln, Hacken, Hebeisen u.d.gl., die man auf Wagen von Gießen und Homburg beigebracht hatte, reichlich versehen war, begann sofort, den Kirchenbau, welcher schon über 11 Schuh über das Fundament in der Rundung und am Giebel auf 17 Schuh hoch aufgeführt war, nieder zu reißen und gänzlich zu zerstören, so daß kein Stein auf dem anderen blieb.“

Die Zerstörung des halbfertigen Kirchneubaus hatte ein juristisches Nachspiel und Holzhausen eroberte die Bühne der großen Politik. Die „Holzhäuser Sach“ wurde vor den Reichstag in Regensburg gebracht. Die Landgrafen von Hessen-Kassel beriefen sich auf den Religionsfrieden und argumentierten, dieser sei in Holzhausen durch den Freiherrn von Ingelheim gestört worden. Ingel-heim protestierte beim Kaiser gegen das gewaltsame hessische Vorgehen.

Der Kaiser urteilte salomonisch und forderte seine „lieben Vettern von Hessen“ auf, den Schaden zu ersetzen und erklärte, die katholische Kirche solle wieder aufgebaut werden. Die „lieben Vettern“ zahlten 1.320 Gulden und 6 Kronen Entschädigung an den Freiherrn von Ingelheim.

Schließlich entschied das Reichskammergericht in Wetzlar, dessen Präsident der Freiherr zeitweilig selbst war, sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche dürften gebaut werden.

Zwei Neubauten

1717 wurde mit dem Bau der neuen katholischen Kirche begonnen. 1718 wurde sie fertig gestellt und eingesegnet. Offenbar waren die Bedingungen für eine Weihe noch nicht erfüllt. Die folgte zehn Jahre später, am 27. Juni 1728. Vermutlich war bis dahin auch der heute so eindrucksvolle Hochalter eingepasst und die Ausstattung des Gotteshauses vollständig.

In einem aber waren die Katholiken den Evangelischen voraus: Obwohl sie nur 60 von rund 300 Einwohnern stellten, erhielten sie mit Fertigstellung ihrer Kirche 1718 eine selbstständige katholische Pfarrei.

Darauf musste die evangelisch-lutherische Gemeinde noch lange warten. Auch die Lutheraner beeilten sich mit dem Neubau ihrer Kirche, der heutigen evangelischen Kirche. Sie wurde im Januar 1719 eingeweiht.

1742 starb Franz Adolf Dietrich von Ingelheim. Bereits ein Jahr zuvor hatte Landgraf Wilhelm VIII von Hessen-Kassel Holzhausen besetzt. Ingelheim musste das Dorf gegen eine Entschädigung aufgeben. In der Folgezeit kam es immer wieder zu konfessionellen Auseinandersetzungen. Doch spielten sie sich immer weniger auf der Herrschaftsebene ab. Die Gläubigen beider Konfessionen vor Ort stritten sich anlässlich von Hochzeiten oder Beerdigungen. Als schließlich 1764 die katholische Gemeinde auf ihrem Friedhof das alte Holzkreuz durch ein Steinkreuz ersetzen wollte, kam es zu einem erneuten Streit, weil die Lutheraner nicht dulden wollten, dass der Corpus Christi zum Dorf hin aufgerichtet werde.

Die Obrigkeit hatte die Nase voll. Dem neuen Ortsherren reichten die Querelen in Holzhausen. Der evangelische Landgraf von Hessen-Kassel erlaubte die Aufrichtung des Kreuzes zum Dorf hin und erließ am 24. August 1764 ein Dekret, in dem es hieß: „Wer die katholische Religion im Orte nur im geringsten beeinträchtigt, hat mit empfindlichen Strafen, Verlust seiner Habe und dem Verweis des Landes zu rechnen.“

Ein erster Schritt hin zu gegenseitiger Toleranz – doch bis zur heutigen Ökumene und dem heute selbstverständlichen Miteinander war es noch ein weiter Weg.

Die Kirchen

Zwei Kirchen in einem Jahr - und ein Baumeister für beide. Die Holzhäuser Kirchengeschichte ist voller Besonderheiten. Johann Wilhelm Dettler stammte aus Rodheim, lebte und arbeitete als Maurermeister in Holzhausen. 1717 übernahm er den Neubau der zuvor zerstörten katholischen Kirche. Sie entstand näher zur Ober-Erlenbacher Straße als der erste Bau, da dessen Grundmauern nicht genutzt werden konnte. Freiherr von Ingelheim ließ auch den Bauplan ändern. Statt des zuvor errichteten Langhauses mit seitlicher Sakristei entstand nun ein kreuzförmiger Zentralbau mit Längs- und Querschiff - quasi eine Mini-Kopie des Petersdoms in Rom. Ein ungewöhnliches Konzept für eine kleine Landkirche. Als Vorteil gilt, dass die Gläubigen von allen Plätzen aus gleich gut auf den Tabernakel als Zentrum des eucharistischen Glaubens schauen können.

Johann Wilhelm Dettler entwarf auch die evangelische Kirche und leitete den Bau als Maurermeister. Seine Name und die Jahreszahl 1719 sind auf dem Sandsteinbogen über dem Haupteingang eingemeißelt. Leider erlebte er die Eröffnung beider Gotteshäuser nicht mehr. Er starb am 24. August 1718 – wenige Wochen bevor die katholische Kirche benediziert wurde. Ein Verwandter vollendete die Arbeiten an der evangelischen Kirche.

Beide Kirchen sind im Stil des Barock gebaut – und doch unterschiedlich. Die katholische verspielter, prächtiger – geprägt von der Dynamik der Gegenreformation, mit der die römische Kirche verlorenes Terrain zurückeroberte. Die evangelische Kirche ist schlichter, aber keinesfalls schmucklos. Das Kreuzigungsbild über dem Altar und das von Johann Jakob Hauck geschaffene lebensgroße Porträt Luthers mit einem Schwan an der südlichen Längswand zeugen davon.

Die Geschichte und die künstlerische Ausgestaltung der beiden Kirchen haben Marianne Peilstöcker für die evangelische und Dr. Hans-Joachim Kirchhoff für die katholische Gemeinde ausführlich dokumentiert.

Die Gemeinden

Nach dem landgräflichen Machtwort von 1764 war eine zeitlang Ruhe unter den Konfessionen – zumindest sind keine größeren Auseinandersetzungen zwischen katholischen und evangelischen Holzhäusern überliefert.

Dafür gab es Einflüsse von außen, wie die Besetzung des Rheinlands durch französische Truppen unter Napoleon Bonaparte. Das Bistum Mainz verlor große Teile seiner Besitzungen und die Erzbischofswürde. Der Deutsche Orden und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation wurden 1806 aufgelöst. All das hatte Auswirkungen auch auf die kleine katholische Gemeinde in Holzhausen, das von 1806 bis 1810 französisch besetzt war.

Im gleichen Jahr verlor die Gemeinde zahlreiche wertvolle Gegenstände bei einem Einbruch in die Kirche. Lediglich Teile der Beute wurden später im Feld gefunden.

Der Grenzgänger

Dann kam Franz Joseph Helferich. Der 1806 in Viernheim geborene Sohn eines katholischen Lehrers hatte Philosophie, Philologie und Theologie studiert und war nach seinem Kaplanat in Fürth im Odenwald in mehreren Gemeinden als Pfarrverwalter tätig. 1832 wechselte er nach Holzhausen. Er begnügte sich jedoch offensichtlich nicht mit seiner Rolle und brillierte fortan mit unkonventionellen Predigten, die auf konfessionelle Befindlichkeiten keine Rücksicht nahmen.

Die Leute waren fasziniert und irritiert zugleich. Manche glaubten, Helferich wollte die Protestanten in den Schoß der katholischen Kirche zurückführen. Andere vermuteten genau das Gegenteil – hatte er doch seinen katholischen Gemeindegliedern empfohlen, sich eine Lutherbibel zu besorgen, weil sie billiger sei als das katholische Pendant.

Helferich zog Publikum an, seine Predigten und Bibelstunden waren überfüllt. 1834 sollte er katholischer Pfarrer von Holzhausen werden. Doch eine Anzeige wegen seiner spöttischen Reden über die katholische Liturgie brachte ihn 1835 vor das bischöfliche Ordinariat in Mainz. Das Gespräch dort muss nicht sehr harmonisch verlaufen sein. Im Ergebnis wurde der Kurzzeit-Pfarrer entlassen.

Eine überregionale Sensation wurde daraus, als einige Wochen später mit ihm 46 Holzhäuser Katholiken, darunter 23 Kinder, öffentlich zum evangelischen Glauben übertraten – ein schwerer Verlust für die katholische Gemeinde. Laut eines damaligen Presseberichts sollen 5.000 Menschen dem Schauspiel am Wetenplatz beigewohnt haben.

Ökumene? – Ökumene!

Im Laufe des 19. Jahrhunderts beruhigten sich die Gemüter. Doch selbst im 20. Jahrhundert spielten konfessionelle Auseinandersetzungen immer wieder eine Rolle. 1932 wurde mit Dr. Ferdinand Eichen ein ehemaliger Katholik evangelischer Pfarrer. Nach Auseinandersetzungen um seine Person wurde er von den Nationalsozialisten bedroht und musste die Gemeinde 1939 verlassen.

Erst 1945 bekamen die Evangelischen wieder einen eigenen Pfarrer. Inzwischen hatten Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg die Bevölkerung Burgholzhausens stark wachsen lassen. Das ehemals evangelisch dominierte Dorf war nun zu einem Drittel katholisch. Als 1950 der evangelische Pfarrer Otto Melchers zur katholischen Kirche übertrat, waren die Beziehungen zwischen den Konfessionen wieder einmal belastet.

Das änderte sich seit den sechziger Jahren. Als Meilenstein gilt die Festrede des katholischen Pfarrers August Rachor beim evangelischen Kirchenjubiläum 1969. Er beschwor die Gemeinsamkeiten der Konfessionen. Seit 1974 arbeiten die christlichen Gemeinden Burgholzhausens und der anderen Friedrichsdorfer Stadtteile in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Gemeinden Friedrichsdorfs (ACGF) zusammen.

Heute leben in Burgholzhausen 3.600 Menschen. Etwas weniger als jeweils ein Drittel gehören der evangelischen und der katholischen Kirche an. Zusammen wollen beide Gemeinden künftig ein attraktives Angebot für alle Burgholzhäuser schaffen.

Die Zusammenarbeit findet auf vielen Ebenen statt. Sie reicht von katholischen Musikern im evangelischen Posaunenchor über den gemeinsamen Grillstand bei der Holzhäuser Weihnacht bis zum gemeinsamen Aufstellen der Weihnachtsbäume in beiden Kirchen. 2017 teilten sich beide Gemeinden mehrere Monate die evangelische Kirche für ihre Gottesdienste, während das katholische Gotteshaus restauriert wurde.

Auch das Festprogramm zur Feier des 300-jährigen Bestehens beider Kirchen ist durch Gemeinsamkeit geprägt. Der evangelische Posaunenchor spielt im katholischen Festgottesdienst, der katholische Kirchenchor singt in der evangelischen Kirche. Und nach Weihnachten gehen evangelische und katholische Kinder gemeinsam als Sternsinger auf die Straße. Und das sind nur einige Beispiele.

Michael Krause

Der Text entstand mit freundlicher Unterstützung von Marianne Peilstöcker und Dr. Hans-Joachim Kirchhoff. Herzlichen Dank.

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